Vollkaskoversicherung und Angaben zu Vorschäden

Vollkaskoversicherung und Angaben zu Vorschäden

LG Hamburg Urteil vom 3.8.2006, 323 O 106/06

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger 7.230,-- EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.12.2005 zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte nach einem Verkehrsunfall auf Zahlung einer Kaskoentschädigung in Anspruch.

Am 24.08.2005 befuhr der Kläger gegen 16.35 Uhr mit seinem Krad der Marke Kawasaki (amtliches Kennzeichen: …), für das er mit der Beklagten einen Teilkaskoversicherungsvertrag abgeschlossen hatte, die K. von B. aus kommend, in Richtung E.. In der bei Km 5,95 befindlichen Linkskurve stürzte er mit dem Krad, an dem durch den Unfall ein wirtschaftlicher Totalschaden entstand. Der Kläger selbst zog sich eine Beckenabsplitterung zu und musste einige Zeit lang stationär im Krankenhaus behandelt werden.

Das Schadenanzeigeformular der Beklagten (Anlage B 5) wurde dieser unter dem 02.09.2005 ausgefüllt zurückgesandt. Dabei war die Frage nach früheren Beschädigungen am Fahrzeug mit „nein“ beantwortet worden (Anlage B 5), obwohl das Krad bei dem ersten Fahrzeughalter, Herrn Thomas W., am 28.04.2000 schon einmal in einen Verkehrsunfall verwickelt und dabei beschädigt worden war und der Kläger hiervor auch Kenntnis hatte.

Am 05.09.2005 nahm der Sachverständige U. das Motorrad des Klägers in Augenschein. In seinem Gutachten vom 07.09.2005 (Anlage B 2) gab er den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs mit 7.800,-- EUR brutto und den Restwert mit 570,-- EUR brutto an. Dabei hatte er einen Vorschaden am Krad in Form eines instand gesetzten Seitenschadens links berücksichtigt (vgl. Seite 2 des Gutachtens, Anlage B 2), bei dem es sich um denjenigen aus dem Unfall vom 28.04.2000 handelte.

Der Kläger ist der Ansicht, ihm stehe ein Anspruch nach den §§ 62, 63 VVG (Ersatz von Rettungskosten) zu. Dazu trägt er vor:

Als er sich in der in Frage stehenden Linkskurve in Schräglage befunden habe, sei ein Hase vor ihm über die Straße gelaufen. Er habe gebremst und sei daraufhin gestürzt.

Die objektiv falsche Angabe im Schadenanzeigeformular, betreffend den Vorschaden, sei nicht etwa absichtlich gemacht worden, sondern beruhe auf einem falschen Verständnis der Frage. Er habe angenommen, die Frage stelle auf Schäden ab, die während seines Besitzes eingetreten seien.

Nachdem der Kläger zunächst auf Ersatz des gesamten Wiederbeschaffungswertes, also auf Zahlung von 7.800,-- EUR geklagt hatte, hat er seine Klage mit Schriftsatz vom 09.06.2006 auf den Wiederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert) beschränkt und diese daher teilweise zurückgenommen.

Der Kläger beantragt nunmehr nur noch,

die Beklagte zu verurteilen, ihm 7.230,-- EUR zuzüglich 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab dem 08.12.2005 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bestreitet, dass dem Kläger ein Hase vor das Krad gelaufen sei, und geht vielmehr davon aus, dass dessen Sturz ausschließlich auf persönliche Defizite zurückzuführen sei. Der Kläger sei zu schnell in die Kurve hinein gefahren, dadurch nach außen getragen worden und dann auf den Rollsplitt geraten, der ausweislich der vom Kläger gefertigten Unfallskizze (Anlage B 4) im Bereich der Unfallstelle gelegen habe.

Im Übrigen ist die Beklagte der Ansicht, sie sei wegen der Falschangabe des Klägers in Bezug auf die Vorschäden leistungsfrei geworden.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Die Kammer hat die den Unfall betreffende Ermittlungsakte beigezogen und den Kläger angehört sowie den Zeugen M. zum Unfallhergang vernommen. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll vom 20.07.2006 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Leistung einer Kaskoentschädigung in Höhe von 7.230,-- EUR zu.

I.

1.) Der Anspruch des Klägers ergibt sich aus dem Gesichtspunkte des Rettungskostenersatzes (§§ 62, 63 I VVG).

a) Nach der Anhörung des Klägers und der Vernehmung des Zeugen M. ist die Kammer davon überzeugt, dass der in Frage stehende Unfall vom 24.08.2005 durch einen die Fahrbahn überquerenden Hasen bzw. ein Kaninchen verursacht worden ist, auch wenn es dabei unstreitig nicht zu einer Kollision zwischen dem Krad des Klägers und dem Haarwild im Sinne des § 2 I Nr. 1 BundesjagdG gekommen ist (vgl. § 12 (1) I d) AKB).

Der Kläger hat in sich schlüssig und glaubhaft bekundet, ihm sei von links her plötzlich ein Hase oder auch ein Kaninchen unmittelbar vor das Krad gelaufen, als er gerade dabei gewesen sei, die besagte Linkskurve in Schräglage zu befahren. Er habe deutlich die großen Ohren des Tieres erkannt, das in einem Abstand von nur etwa ein bis zwei Motorradlängen von ihm entfernt gewesen sei und die Straße überquert habe. Um eine Kollision mit dem Hasen zu vermeiden, habe er automatisch abgebremst, wodurch er von seiner eigentlichen Fahrtrichtung abgekommen und auf den Rollsplitt geraten sei, der im Einmündungsbereich einer Nebenstraße gelegen habe (vgl. dazu die Skizze der Anlage B 4). Schließlich sei er gestürzt. So habe er das Geschehen bereits an der Unfallstelle gegenüber der Polizei geschildert.

Tatsächlich ergibt sich aus dem polizeilichen Vermerk auf Seite 2 der Ermittlungsakte, dass der Kläger bereits unmittelbar nach dem Unfall vom Queren eines kleinen Tieres berichtet hatte, wobei sich der Hinweis auf einen „Hasen“ oder eine „Katze“ findet.

Auch der Zeuge M., der mit seinem Krad damals hinter dem Kläger hergefahren war, hat ausgesagt, beim Befahren der Linkskurve sei plötzlich von links her ein Hase direkt über die Straße gelaufen, und zwar unmittelbar vor dem Motorrad des Klägers. Der Abstand zwischen diesem und dem Hasen habe wohl nur etwa 2 – 3 m betragen. Er habe zunächst sogar befürchtet gehabt, der Hase laufe direkt ins Motorrad des Klägers. Zu dem Sturz sei es dadurch gekommen, dass der Kläger gebremst habe. Dabei war sich der Zeuge M. recht sicher, dass es sich bei dem die Straße überquerenden Tier um einen Hasen bzw. ein Kaninchen gehandelt habe, weil er dieses regelrecht „hoppeln“ gesehen habe. Tatsächlich hatte der Zeuge schon gleich zu Beginn seiner Aussage von einem für Hasen charakteristischen „Hoppeln“ berichtet.

Die Kammer hält die Aussage des Zeugen M. für glaubhaft. Jener hat das damalige Geschehen in sich schlüssig und widerspruchsfrei geschildert und trotz der Bekanntschaft mit dem Kläger keineswegs eine einseitige Aussagetendenz gezeigt. So hat er auf Nachfragen Erinnerungs- bzw. Wissenslücken ohne weiteres eingeräumt.

b) Nach den Umständen durfte der Kläger ein Ausweichen vor dem Hasen bzw. Kaninchen für geboten halten, ohne dass ihm insoweit der Vorwurf eines grob fahrlässigen Handelns entgegengehalten werden könnte.

Die Rechtsprechung, nach der das Ausweichen mit einem Auto vor einem kleinen Tier wie z.B. einem Hasen keinen Rettungskostenersatz rechtfertige, weil bei einem etwaigen Zusammenstoß mit einem Kleintier regelmäßig geringere Schäden zu erwarten seien als bei einem gefahrträchtigen Ausweichmanöver (vgl. dazu nur BGH, VersR 1997, 351), ist auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Die Situation ist bei einer drohenden Kollision zwischen einem Krad und einem kleinen Tier eine gänzlich andere. Eine solche birgt nämlich jedenfalls bei dem Befahren einer Kurve, bei dem sich der Kradfahrer in einer Schräglage befindet, die ganz erhebliche Gefahr eines seitlichen Wegrutschens des Krades und damit zugleich einer schweren Verletzung des Fahrers wie auch einer beträchtlichen Beschädigung des Krades selbst (ebenso: OLG Hamm, MDR 2001, 1051, 1052; OLG Hamm, VersR 2002, 478; Rixecker, zfs 2001, 462, 463).

c) Die Beklagte ist von ihrer Leistungspflicht nicht frei geworden.

Zwar hat der Kläger seine Aufklärungsobliegenheit verletzt, indem er die Frage nach früheren Beschädigungen am Fahrzeug in der Schadenanzeige (Anlage B 5) verneint hat, obgleich er um den Vorschaden aus dem Unfall vom 28.04.2000 gewusst hatte. Die Kammer ist nach der Anhörung des Klägers aber davon überzeugt, dass diese Obliegenheitsverletzung nicht etwa vorsätzlich, sondern lediglich grob fahrlässig geschah. Sie erachtet seine Angabe, er habe die betreffende Frage so verstanden, dass es um Beschädigungen gehe, die während seines Besitzes aufgetreten seien, als glaubhaft, so dass die Vorsatzvermutung des § 6 III 1 VVG widerlegt ist. Auch wenn die betreffende Frage im Schadenanzeigeformular keinen Anhaltspunkt für die vom Kläger angegebene Auslegung bietet, muss man ihm zugute halten, dass er bloßer Laie ist, so dass es nicht abwegig erscheint, dass er den wahren Sinn der Frage nicht erfasst hat und daher zu einer falschen Bewertung gelangt ist. Hinzu kommt hier, dass das Formular vom Versicherungsmakler des Klägers ausgefüllt und ihm nur zur Überprüfung ins Krankenhaus zugesandt worden war. Unter solchen Umständen dürfte die Auseinandersetzung mit dem Inhalt bzw. Sinn und Zweck der einzelnen Fragen regelmäßig nicht so intensiv ausfallen wie beim eigenen Ausfüllen des Formulars. So hat denn auch der Kläger glaubhaft erklärt, er habe sich beim Durchlesen des Formulars im Krankenhaus über die in Rede stehende Frage eigentlich keine großen Gedanken gemacht. Das begründet zwar den Vorwurf grob fahrlässigen Handelns, nicht aber denjenigen eines absichtlichen Vorgehens.

Entgegen der Auffassung der Beklagten hat sich die Obliegenheitsverletzung hier nicht ausgewirkt (§ 6 III 2 VVG). Das gilt insbesondere für die Frage nach dem Umfang der Versicherungsleistung. Der Sachverständige V. hat in seinem Gutachten vom 07.09.2005 den in Rede stehenden Vorschaden in Form eines instand gesetzten Seitenschadens links berücksichtigt (Anlage B 2), so dass sich trotz der Falschangabe in der Schadenanzeige keine Zweifel an der Richtigkeit des gutachterlich geschätzten Wiederbeschaffungs- und Restwertes ergeben.

2.) Der Zinsanspruch ergibt sich aus den §§ 286 II Nr. 3, 288 I BGB. Die Beklagte hat eine Schadensregulierung mit Schreiben vom 06.12.2005 endgültig abgelehnt.

II.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits beruht auf den §§ 92 II Nr. 1, 269 III 2 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 1 und 2 ZPO.

Anspruch auf Schadensersatz bei Reparaturen von 13
Ersatzfähigkeit von Gutachterkosten nach Unfall