Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Erreichens der
Urteil 93
BGH IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL IV ZR 153/05 Verkündet am:
5. Juli 2006
ARB 94 4 (1) c, (2) 2
Bei einer Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Erreichens der 18-Punkte-Grenze infolge wiederholter Verstöße gegen straßenverkehrsrechtliche Vor-schriften oder Strafgesetze ( 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG i. V. mit 46 Abs. 1 FeV) ist jede einzelne Verkehrsordnungswidrigkeit oder Straftat ein selbstän-diger Rechtsschutzfall. Anspruch auf Deckungsschutz hat der Versiche-rungsnehmer nur, wenn der erste der für die Fahrerlaubnisentziehung maß-geblichen Verstöße innerhalb des versicherten Zeitraumes liegt ( 4 (2) Satz 2 ARB 94).
BGH, Urteil vom 5. Juli 2006 - IV ZR 153/05 - LG Köln
AG Köln
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsit-zenden Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, die Richterin Dr. Kessal-Wulf und den Richter Dr. Franke auf die mündliche Verhand-lung vom 5. Juli 2006
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 20. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 1. Juni 2005 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger, von Beruf Kraftfahrer und bis November 2003 im Be-sitz einer Fahrerlaubnis auch für Lastkraftwagen, nimmt die Beklagte aus einer bei ihr am 18. Juni 1999 genommenen Rechtsschutzversicherung in Anspruch, in der er als Lebenspartner der Versicherungsnehmerin ge-mäß 26 der Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversiche-rung (ARB 94) mitversichert ist.
Am 10. März 1999 und am 27. Mai 1999 sowie in vier weiteren Fäl-len ergingen gegen den Kläger wegen verschiedener Verkehrsordnungs-widrigkeiten Bußgeldbescheide. In einem weiteren Fall verurteilte ihn das Amtsgericht wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis. In allen sieben Fällen wurden im Verkehrszentralregister beim Kraftfahrtbundesamt Punkte nach 4 StVG eingetragen. Mit dem letzten Bußgeldbescheid vom 2. September 2003 erhöhte sich der Punktestand des Klägers auf insge-samt 18 Punkte. Daraufhin entzog ihm die Straßenverkehrsbehörde mit Verfügung vom 13. November 2003 die Fahrerlaubnis für die Dauer von sechs Monaten und ordnete die unverzügliche Abgabe des Führer-scheins an. Die Bitte des Klägers um Deckungszusage für das Verwal-tungsverfahren wie auch für das Verfahren des einstweiligen Rechts-schutzes nach 80 Abs. 5 VwGO lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 1. Dezember 2003 und (erneut) vom 5. Februar 2004 unter Hinweis auf 4 (1) c i.V. mit 4 (2) Satz 2 ARB 94 ab, weil er zwei der zur Eintra-gung von Punkten führende Verkehrsordnungswidrigkeiten vor Vertrags-abschluß begangen habe. Das Amtsgericht hat die Klage auf Feststellung der Eintrittspflicht der Beklagten abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Fest-stellungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat keinen Erfolg.
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Gemäß 4 (1) c ARB 94 besteht Rechtsschutz nach Eintritt des Versicherungsfalles von dem Zeitpunkt an, in dem der Versicherungsnehmer oder ein anderer einen Verstoß gegen Rechtspflichten oder -vorschriften begangen hat oder begangen haben soll. Da sich eine rechtliche Auseinandersetzung aus mehreren, zeitlich aufeinander fol-genden Rechtsverstößen entwickeln könne, fingiere die Klausel als Ver-sicherungsfall den Zeitpunkt des ersten Verstoßes, auch wenn dieser möglicherweise fortwährend wiederholt werde. Der erste Verstoß müsse in einem solchen Fall jedoch schon für sich betrachtet nach der Lebens-erfahrung geeignet sein, den Rechtskonflikt auszulösen. Zumindest müs-se er noch erkennbar nachgewirkt und den endgültigen Ausbruch der Streitigkeit auch nach weiteren Verstößen - adäquat kausal - jedenfalls mit verursacht haben. Der Kläger habe bereits innerhalb eines Jahres vor Vertragsschluss zweimal gegen Vorschriften der Straßenverkehrs-ordnung verstoßen, weshalb im Verkehrszentralregister insgesamt vier Punkte eingetragen worden seien. Diese Verstöße seien für das Errei-chen der 18-Punkte-Grenze mitursächlich gewesen; ohne sie wäre der Versicherungsfall nicht eingetreten. Die auch vom Kläger vertretene An-sicht, wonach es auf einen vorvertraglichen Rechtsverstoß für die An-nahme des bedingungsgemäßen Rechtsschutzfalles im vorliegenden Fall schon deshalb nicht ankommen könne, weil dieser für sich allein nicht geeignet sei, zu dem Rechtskonflikt Fahrerlaubnisentzug zu führen, sei mit dem Wortlaut von 4 (1) c i.V. mit 4 (2) ARB 94 nicht vereinbar. 4 (2) Satz 2 ARB 94, der sich auf alle Rechtsschutzfälle im Sinne von Abs. 1 beziehe, stehe auch einer Auslegung entgegen, wonach diejenige Zuwiderhandlung gegen Straßenverkehrsvorschriften für die Auslösung des Rechtsschutzfalles maßgeblich sei, die letztendlich zum Erreichen des Punktestandes von 18 Punkten geführt habe.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.
Zwar umfasst die von der Lebenspartnerin des Klägers bei der Be-klagten gehaltene Rechtsschutzversicherung gemäß 26 (3) ARB 94 in sachlicher Hinsicht den Verwaltungs-Rechtsschutz in Verkehrssachen und damit auch die Wahrnehmung rechtlicher Interessen des gemäß 26 (1) ARB 94 mitversicherten Klägers im Zusammenhang mit der Ent-ziehung der Fahrerlaubnis. Das Berufungsgericht hat jedoch zu Recht den vorvertraglichen Eintritt des Versicherungsfalles bejaht.
1. Bei einer Entziehung der Fahrerlaubnis nach 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG i.V. mit 46 Abs. 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV), die auf wiederholten Verstößen gegen straßenverkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze beruht, ist jede einzelne Verkehrsordnungswidrigkeit oder Straftat ein selbständiger Rechtsschutzfall im Sinne von 4 (1) c ARB 94. Der Versicherungsnehmer hat in einem solchen Fall nur dann Anspruch auf Deckungsschutz, wenn der erste der für die Entziehung der Fahrerlaubnis maßgeblichen Verstöße innerhalb des versicherten Zeit-raumes liegt. Das ergibt die Auslegung von 4 (1) c i.V. mit 4 (2) Satz 2 ARB 94, bei der es auf die Sichtweise des durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers ohne versicherungsrecht-liche Spezialkenntnisse ankommt (BGHZ 123, 83, 85 und ständig).
a) 4 ARB 94 enthält für den Bereich der Rechtsschutzversiche-rung eine Definition des Versicherungsfalles im Sinne von 1 Abs. 1 Satz 1 VVG (Rechtsschutzfall), der sich in versicherter Zeit ereignet ha-ben muss. Gemäß 4 (1) c ARB 94 besteht danach Anspruch auf
Rechtsschutz nach Eintritt eines Rechtsschutzfalles von dem Zeitpunkt an, in dem der Versicherungsnehmer oder ein anderer einen Verstoß ge-gen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften begangen hat oder began-gen haben soll. Wie der Senat bereits entschieden hat, kann der durch-schnittliche Versicherungsnehmer dem Wortlaut sowie dem erkennbaren Sinn und Zweck dieser Klausel entnehmen, dass für die Annahme eines den Rechtsschutzfall auslösenden Verstoßes im Sinne der Klausel jeder tatsächliche, objektiv feststellbare Vorgang ausreicht, der den Keim ei-nes Rechtskonflikts in sich trägt (Urteil vom 28. September 2005 - IV ZR 106/04 - VersR 2005, 1684 unter I 3 b; vgl. auch Senatsurteil vom 14. März 1984 - IVa ZR 24/82 - VersR 1984, 530 unter I 3 e).
Gemäß 46 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 FeV setzt die behördlich ange-ordnete Entziehung der Fahrerlaubnis infolge Erreichens der 18-Punkte-Grenze wiederholte, also gemäß 20 OWiG in Tatmehrheit stehende Verstöße gegen verkehrsrechtliche bzw. strafrechtliche Vorschriften vor-aus. Für den um Verständnis bemühten Versicherungsnehmer wird sich im vorliegenden Fall daher jeder einzelne der für die Entziehung der Fahrerlaubnis erheblichen Verkehrsverstöße gleichermaßen als ein sol-cher objektiv feststellbarer, tatsächlicher Vorgang darstellen. Jede Ver-kehrsordnungswidrigkeit ist somit ein selbständiger Rechtsschutzfall im Sinne von 4 (1) c ARB 94.
b) Der Kläger begehrt im vorliegenden Fall Deckungsschutz, weil er gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Erreichens der 18-Punkte-Grenze infolge wiederholter Verstöße gegen straßenverkehrs-rechtliche bzw. strafrechtliche Vorschriften vorgehen will. Die beabsich-tigte Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen im Zusammenhang mit dem Entzug der Fahrerlaubnis ist also dadurch gekennzeichnet, dass dem Rechtsschutzfall, für den er Deckung begehrt, bereits mehrere Rechtsschutzfälle vorausgegangen sind, die den Rechtsschutzfall "Ent-ziehung der Fahrerlaubnis" erst ausgelöst haben. Das führt zur Anwen-dung des 4 (2) Satz 2 ARB 94. Danach aber hängt die Frage, ob die Beklagte Deckung zu gewähren hat, davon ab, ob der erste der für die Fahrerlaubnisentziehung maßgeblichen Verstöße innerhalb des versi-cherten Zeitraumes liegt.
Das Berufungsgericht hebt zutreffend hervor, dass sich dieser Teil der Klausel schon dem Wortlaut nach auch auf die Fälle des Entzugs der Fahrerlaubnis wegen Erreichens der 18-Punkte-Grenze bezieht, zumal das Bedingungswerk der ARB 94 im Unterschied zu den ARB 75 insoweit keine Sonderregelung enthält. Auf die zur Auslegung von 14 ARB 75 in Fällen des Fahrerlaubnisentzugs in Rechtsprechung und Schrifttum ver-tretenen unterschiedlichen Auffassungen kommt es deshalb hier nicht mehr an (vgl. dazu Obarowski in Beckmann/Matusche-Beckmann [Hrsg.], Versicherungsrechts-Handbuch 2004 37 Rdn. 379 f.; Schirmer, DAR 1992, 418, 425, jeweils m. Nachw. zum Meinungsstand). Gegen die vom Kläger besorgten nachteiligen Folgen der vom Senat vorgenommenen Auslegung wird der Versicherungsnehmer durch 4 (2) Satz 2 Halbs. 2 ARB 94 hinreichend geschützt, wonach jeder Rechtsschutzfall außer Be-tracht bleibt, der länger als ein Jahr vor Beginn des Versicherungsschut-zes für den betroffenen Gegenstand der Versicherung eingetreten ist (ebenso Maier, RuS 1995, 361, 364). Die Ansicht der Revision, es müsse regelmäßig auf die letzte verkehrsordnungsrechtliche Zuwiderhandlung abgestellt werden, weil erst auf deren Grundlage das Entziehungsverfahren eingeleitet werde, erweist sich im Hinblick auf den Regelungszusammenhang von 4 (1) c und 4 (2) ARB 94 als nicht tragfähig. 2. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ergingen die ersten beiden hier maßgeblichen Bußgeldbescheide gegen den Kläger am 10. März und am 27. Mai 1999, also im ersten Jahr vor Abschluss des Versicherungsvertrages mit der Beklagten am 18. Juni 1999. Es hat daher mit Recht angenommen, dass dem Kläger wegen Vorvertraglichkeit kein Anspruch auf Versicherungsleistungen gegen die Beklagte zusteht.
Terno Dr. Schlichting Seiffert